Entwicklung und Tradition der Weidewirtschaft
in Stolberg/Harz / Heuernte in Stolberg & Erzeugung des
"Harzer Käses"

Hilde Ostermann, geb. Ehrhardt (1983)

Früher waren die Berghänge und Wiesen in Stolberg saftig grün und im Frühjahr blühten die Wiesen schön bunt. Wenn man jetzt die gleichen Hänge betrachtet, ist alles verkrautet und verwachsen, weil die Wiesen und Hänge nicht mehr gemäht werden und sich keiner mehr darum kümmert. Ich will nun mal berichten, wie es früher gewesen ist und wie ich es aus meiner Jugendzeit noch in Erinnerung habe.
Im Frühjahr wurden die Bergwiesen zunächst einmal abgeharkt, um das alte Gras zu entfernen und dem jungen Grün Luft zu geben. Nach kurzer Zeit blühte alles saftig und bunt. Etwa ab 1. Mai durfte sich keiner mehr auf den Wiesen lagern, denn spätestens Ende Juni begann die Heuernte.
Kaum, dass der Tag erwacht war, zogen die Männer mit ihren Sensen los und mähten die Berge ab - noch heute habe ich das Geräusch bzw. den Klang im Ohr, wenn die Sensen mit dem Stein gewetzt wurden.
Dann begann die Arbeit, das gemähte Heu zu streuen und zu wenden - diese Arbeit verrichteten meist die Frauen und Mädchen. Wenn das Heu nach etwa 2 - 3 Tagen trocken war, musste es von den Bergen und Hängen heruntergeschafft werden, aber wie?
Das war in Stolberg gar nicht so einfach. Mit dem Pferdewagen konnte man oft nicht
einmal an die schmalen Bandwege heranfahren, geschweige denn entlang fahren. Da mussten wieder die Frauen heran und schwer arbeiten. Wenn ich mich nur an den Ehrhardtschen „Trauermantel“ oberhalb vom FRIWI-Werk erinnere. Da mussten „Hucken“ gemacht werden, die von den Frauen auf dem Rücken getragen wurden, und zwar den ganzen Weg vom Berg abwärts, die Hintergasse entlang, über den Markt und dann auf unseren Heuboden. Solche Hucke war schwer. Einige Frauen habe ich noch in Erinnerung, die besonders fleißig waren, so Frau Krügel, Frau Brocke und viele andere. Alle hatten viele Kinder und die mussten mitarbeiten, wenn die Zeit der Heuemte herangekommen war. Wie viele Hucken jeder trug kann ich heute nicht mehr sagen. Es wurden auf einer Schiefertafel jedes mal für jede Frau Striche gemacht, damit sie dann ihre Anzahl Hucken auch bezahlt bekamen. Nach jedem Weg vom Berg bis zurück zur Wiese erhielten die Frauen erst einmal Brote und Getränke. Man muss sich die schwere Arbeit vorstellen und außerdem die sommerliche Hitze unter dem warmen Heu bedenken.

Ziegenherde am Rittertor
Colorierte Postkarte: Ziegenherde am Rittertor.
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Das Glockengeläut


Die „Glocken“ sind eigentlich Schellen, denn sie wurden nicht gegossen, sondern aus geschmiedetem Eisenblech von einem sog. Glockenschmied oder Kuhglockenmacher zugeschnitten, verlötet und durch Dengeln mit dem Hammer gestimmt. Der Kuhglockenmacher war also fast ein Instrumenten- hersteller.
Einer der letzten seiner Zunft war Meister Liesenberg in Bad Suderode, der 1947 verstorben ist. Die Bügel, an denen die Glocke befestigt war, wurde von den Hirten selbst in den Wintermonaten hergestellt. Diese wurden meist aus Eschenholz geschnitten, die Konturen ausgehackt und dann mit
dem Zugmesser auf entsprechende Stärke abgehobelt, gedämpft und gebogen und dann getrocknet.
Im Winter mussten die Glocken oft von den Glockenschmieden repariert und neu gestimmt
werden. Dies geschah mit dem Stimmhammer, indem Dellen an bestimmten Stellen der Glocke erzeugt wurden. Die Glocken waren im Ton aufeinander abgestimmt und bestanden ursprünglich bei einem kompletten Geläut aus 36 Stück, die einen nicht unerheblichen Wert hatten. Die größten waren bis 30cm lang und wogen bis zu 1,5 kg. Aufeinander abgestimmt wurden sie für die Kühe in C-Dur und für die Kälber in F-Dur. Damit konnten die Hirten v.a. bei der Waldweide feststellen, wo sich welche Kühe gerade aufhielten und man hörte auch heraus, wenn sich eine Kuh aus irgendeinem Grund nicht mehr bewegte.
Die Glocken waren also nicht nur in der Natur ein echtes Hörerlebnis, wenn 50 und mehr Tiere mit unterschiedlich klingenden Glocken unterwegs waren, sie waren überlebenswichtig! Wenn sich ein Tier von der Herde gelöst und im Wald verirrt hatte, war es mitunter über viele hundert Meter akustisch zu „orten“.
Es ist ein Stück Harzpoesie, wenn die Hirten mit ihren Herden in die Berge ziehen und den Tag einläuten, bevor die ersten Sonnenstrahlen in das Tal hineinleuchten…
Aber auch in diese echte Harzstimmung hat die raue Wirklichkeit einzubrechen versucht und nichts Geringeres beabsichtigt, als die Kuhglocken zu pfänden. Was aber wäre eine Herde von Kühen ohne Glocken? Zum Glück hat ein Gericht entschieden: die Kuhglocken sind unpfändbar, denn dem Hirten sind die Glocken zur Ausübung seiner Tätigkeit unentbehrlich. Würden ihm als Schuldner die Glocken gepfändet, so könnte er im kommenden Sommer nicht wieder als Hirte arbeiten, denn kein Viehhalter würde ihm seine Tiere anvertrauen. Jeden Herbst sammelte der Hirte die Glocken ein und bekommt für deren Aufbewahrung eine Leihgebühr.
Er ließ sie auch vor Ort reparieren.
Dieses Gebäude war der ehemalige Kuhstall – bis 1962 – und die Glocken gehörten den Tieren, die hier zu Hause waren. Die größte und prächtigste Kuh, die „Jette“ trug die größte Glocke.

Kuhherde auf dem Weg zur Weide - alte Postkarte
Alte Postkarte: Kuhherde an der alten Auerbergstraße auf dem Weg zu den Weiden.
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Die Geschichte des Harzer Käses

Der Harzer Käse, von dem nur böse Menschen behaupten, dass er „stänke“, während der geborene Harzer das Aroma seines Harzkäses als „Duft“ bezeichnet, einen würzigen Harzduft, der dazu angetan scheint, in den Herzen des Harzers Heimatgefühle zu wecken.
Dieser Käse sei aber gar kein Harzer, jedenfalls , wenn es nach dem 1. Produzenten geht. Denn es war ein Schweizer, der vom Fürsten Friedrich Albert von Bernburg um 1780 in den Harz geholt wurde, um einen Viehhof im Selketal zu verwalten. Dieser Schweizer versuchte, die Magermilch, die bei der Butterherstellung anfiel, zu verwerten und unter Nutzung seiner Kenntnisse der Schweizer Käseherstellung zu verarbeiten. Er nannte das Erzeugnis im Unterschied zu dem „Schweizer“ nun Harzer Käse.
Man kann aber davon ausgehen, dass der Harzkäse schon viel früher und im gesamten Harzgebiet mit der üblichen Herstellungsweise und dem besonderen Reifeprozess bekannt
gewesen ist. Man gab ihm verschiedene Gewürze wie Salz und Kümmel bei und formte die Masse zu handgroßen, rundlichen Batzen. Die kleinen Käselaiber ließ man auf strohbedeckten Brettern unter der Zimmerdecke einige Tage reifen. Mit fortschreitendem Reifeprozess entströmte dem Käse ein sehr markanter Duft und er entwickelte seinen typischen Geschmack.
Wenn die Gärung besonders schnell gehen sollte, hängte man den Tontopf im warmen Kuhstall auf…ein bisschen Vorsicht war aber geboten, denn bei zu langer oder falscher Lagerung fault auch Harzer Käse – es entsteht das sog. „Käsegift“.


Harzer Käse aus dem Südharz

In Breitungen, heute ein Ortsteil unserer Gemeinde Südharz, befand sich über 120 Jahre die Käsefabrik „Breitunger Käse“ mit dem Markenzeichen der 3 Tannen. Der Harzer Käse wurde hier fabrikmäßig in großer Stückzahl hergestellt. Dieser Sauermilchkäse wurde von den Bauern der Region vermutlich schon jahrhundertelang gefertigt, denn bei der Milchverarbeitung fiel in den bäuerlichen Haushalten stets Magerquark an.
Seit 1886 wurde er in Breitungen fabrikmäßig produziert. Der Firmengründer Ernst Rumpf holte den Magerquark anfangs mit einem Hundegespann von den Bauern der umliegenden Orte und verkaufte den Käse in Nordhausen auf dem Markt.
Nach der Reprivatisierung kaufte 1991 Familie Poelmeyer aus Lehrte den Betrieb und verlagerte die Produktion 2002 nach Wohlmirstedt. Noch heute fahren einige Breitunger täglich dorthin zur Arbeit
Die genaue Rezeptur des Breitunger Käse blieb natürlich Familien- und bleibt auch heute Betriebsgeheimnis. Der Käse enthält kein Fett, dafür aber viel Eiweiß. Also ideal für „Proteinsammler“ und Kalorienzähler.
Allerdings wird der Verzehr des Harzer Käses erst auf einer Fettbemme mit saurer Gurke zum wirklichen Genuss!
Guten Appetit!


Harzkäse vom Tannengarten
 

Es gehörte zu jenen Dingen, die das Heimelige der Winterszeit und seiner versponnenen Abende ausmachte. Es musste Harzkäse zum Einlegen aus dem Tannengarten geholt werden. - Harzkäse war ein wesentlicher Bestandteil der Abendmahlzeit! Ich sah mich wieder an der Hand meines Großvaters dahin marschieren. Der Weg erschien mir sehr weit, denn ich war noch sehr jung und konnte nur kleine Schritte machen. Wenn ich heute Harzkäse esse und dabei an diese Jugendeindrücke denke, kann ich nur bedauernd lächeln. Sowohl das Kaufen als auch das Genießen haben damit nichts zu tun. Wer das nicht selbst erlebt hat, kann das nicht verstehen. So wie man ihn heute kaufen kann, wie man ihn im Selbstbedienungsladen in den Korb wirft, genauso unpersönlich schmeckt er, selbst wenn ihm noch so schöne Buchstaben aufgedruckt sind, die ihn als ,,Echten Harzkäse“ anpreisen. Der Leser mag entscheiden, ob es sich um eine Marotte handelt, oder ob meine sentimentalen Erinnerungen berechtigt sind. Es war immer im Herbst oder Frühwinter, wenn meine Großmutter zum Großvater sagte:
„Wir müssen auch wieder Käse einlegen !“ Als ich dann soweit war, dass mir der Weg zugemutet werden konnte, marschierte ich mit.
Dann ging es zum Kalten Tal hinaus, am Mönchstieg und an der Taternbuche vorbei hin auf auf den Zwieselsberg, wo wir an die Tannengartenallee kamen. Diese ließ ein frohes Wandern zu; bestanden war sie, sofern ich mich nicht irre, mit Weißbuchen, wodurch ein lichter freundlicher Eindruck entstand. An der linken Seite ging es steil ins Ludetal hinab, während die rechte Seite von einer schmalen Waldwiese begrenzt war, die sich wie ein Band hinzog. Und so ging es bis zum Tannengarten hin, wo Großvater seine Bestellung vorbrachte und seinen Käse schockweise in seinen Tragekorb packte. Aber wozu so ein umständlicher Weg? Meine Großmutter wusste schon, was sie wollte, diese Feinheiten waren wichtig, wenn der Käse so schmecken sollte, wie sie es sich vorstellte. Die Kühe liefen dort den ganzen Tag in frischer Luft und freier Natur herum und verzehrten die würzigen Waldkräuter.
Aus der aromatischen Milch wurde dann der Käsequark hergestellt, indem sie in großen Satten zum Säuern hingestellt wurde. Aus diesem Quark wurden faustgroße Käse geformt. Um das Forsthaus herum unter schattigen Bäumen standen luftige Trockenschränke, die mit Fliegengaze geschützt waren. Hier in der staubfreien frischen Luft wurden sie so lange getrocknet, bis sie recht hart waren und nicht mehr bröckelten. Sonst hieß es gleich: „Da sind wohl Kartoffeln zwischen?“ Wenn wir dann den Weg zurückgelegt hatten und zu Hause angelangt waren, unterzog Großmutter alles einer kritischen Betrachtung. Dann holte sie einen großen Steintopf her, legte den Käse sorgsam hinein und deckte einen mit Rum getränkten Lappen darüber. Dann wurde der Topf zugebunden und gut weggestellt.
Von Zeit zu Zeit wurde immer nachgesehen, ob auch der Reifeprozess ungestört verlief. Das war uns beinahe so wichtig, als wenn ein neuer Weinjahrgang angesetzt wurde. Ich weiß noch heute nach 60 Jahren (1971), dass dieser Käse regelrecht durchsichtig aussehen musste – und dabei rötlichgelb – , wenn er unseren Ansprüchen genügen sollte.
Wer kann sich heute so etwas noch vorstellen, so unzweckmäßig und zeitraubend!


 

Harzer Magermilchkäse

Den Harzer Magermilchkäse gab es in den Kriegsjahren im Mingrammschen Geschäft (Inhaber Heinrich Mingramm) auf Lebensmittelmarken. Diabetiker aber bekamen Pro Tag einen Käse. Dieser musste hier abgeholt werden. Er war lose in Pergamentpapier eingewickelt.
Alte Stolberger berichteten mir, dass der Käse dann zu Hause für die ganze Familie in einen großen Steintopf geschichtet wurde. Hier reifte er nach und wurde, wenn er anfing, über den Rand „zu laufen“, abgeschnitten und verzehrt. Die Entstehung des sog. „Käsegiftes“ war bei dieser Methode natürlich nicht
ausgeschlossen...
Nicht verwechseln!


Der Harzer Roller ist.......
  • der in rollenförmiger Verpackung benannte Harzer Käse .
  • Es handelt sich dabei um einen mit Gelb-oder Rotschmierkulturen gereifter Sauermilchkäse aus Kuhmilch (Sauerquark).
    Harzer Roller wird aber auch der im Oberharz gezüchtete sog. Harzvogel genannt, der zur Rasse der Kanarienvögel gehört. Er erlangte im 19. Jh. weltweite Bedeutung. Die Vögel wurden u. a. im Bergbau zur Warnung vor sog. „matten Wettern“ (Sauerstoffmangel durch Giftgase wie Kohlen monoxid) eingesetzt.
      Wegen seiner Harzer Abstammung und Körperfülle wird SPD-Mann Siegmar Gabriel spöttisch Harzer Roller bezeichnet.

     
    Ziegenherde beim Weiden gegenüber der früheren Grundschule
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