Aus Geschichten, Schnärzchen, und andere Begebenheiten von und über Stolberg /Harz, Heft 4:
Losekuchen — eine „beinliche" Sache Von Friederike Jung geb. Münch (1978 )
Losekuchen, ein Wort; das heute in Stolberg wohl nicht mehr so bekannt ist, aber für mich in meiner frühen Jugend mit einem Vorfall verbunden ist, der mich damals stark beeindruckte und dessen Einzelheiten mir noch heute nach mehr als 80 Jahren in lebhafter Erinnerung geblieben sind.
Für die heutige Generation mag genügen, dass es sich bei diesem Erzeugnis nicht um Kuchen im üblichen Sinne handelt, sondern um ein Nebenprodukt besonderer Art aus simplen Brotteig. Schön braun und knusprig gebacken, war es mit Butter bestrichen für uns Kinder ein Leckerbissen. Die Älteren von uns werden mir das bestätigen.
Damals in meiner Kindheit war es gang und gäbe, dass wohl in vielen Familien die Zubereitung des täglichen Brotes eine selbstverständliche Sache der Hausfrau und Mutter war. Für mich war es immer interessant zuzuschauen, wenn Mutter mit aufgekrempelten Ärmeln in der Stube am Bachtrog stand und kräftig Mehl, Sauerteig, Milch und Wasser durchwalkte und knetete.
Von der so bearbeiteten Masse wurde regelmäßig ein Teil für den beliebten Losekuchen abgesondert und extra behandelt unter Beigabe von anderen schmackhaften Zutaten. Alles wurde dann liebevoll mit einem Tuch bedeckt, wodurch eine gleichmäßige Wärme erzeugt wurde, die bewirkte, dass der Teig sich kugelig wölbte und schön "aufging".
War dies erreicht, trat der Berufsbäcker in Aktion, dem die geformten Brote und Losekuchen zum Backen in dem großen Backofen übergeben wurden und von dem alles nach einer gewissen Zeit frisch, warm und knusprig wieder abgeholt wurde.
Dies hatte an diesem Tag auch die Frau des Ortspolizisten Wiese, die beide mit ihrem Enkel in einer kleinen Dienstwohnung des Rathauses wohnten, getan. Dort kam es dann zu einem tragikkomischen Zwischenfall.
Durch irgend eine Umstand veranlasst, hatte Frau Wiese den duftenden und noch warmen Losekuchen vor ihrer Wohnungstür in dem halbdunklen Flur abgesetzt. Ahnungslos kam ich von der hellen Kirchentreppe in den dunklen Flur, um von Wieses die leeren Milchflaschen mitzunehmen, die ich am Tag zuvor gefüllt dort abgeliefert hatte. — Dabei ist es passiert!
Mit beiden Füssen bin ich in den schönen Losekuchen gestolpert und habe ihn sozusagen als „Abtreter" benutzt. Zu spät bemerkte ich meinen verhängnisvollen Irrtum. Mein Schreck war riesengroß als ich entdeckte, was ich angerichtet hatte. Zu ändern war daran nichts mehr, zäh klebte die Teigmasse an meinen Schuhen. Ich habe laut geheult über dieses Missgeschick.
Aufgeschreckt kam Frau Wiese hinzu und schlug die Hände überm Kopf zusammen. Dann tröstete sie mich aber doch, was ihr auch mit Mühe schließlich gelang. Schuldbewusst schlich ich nach Hause zum Tannengarten zurück und beichtete unter Tränen. Aber meine gute Mutter hatte Verständnis für mein Pech und hat den Schaden gleich großzügig in Ordnung gebracht — Frau Wiese bekam als „Trostpflaster" eine Mandel Eier, eine große Metze Mehl und 2 Liter Milch. Damit war alles wieder gut und Frau Wiese zufrieden.
In meinem langen Leben ist gerade diese Kindheitserlebnis in meiner Erinnerung geblieben, an das ich jetzt lächelnd noch oft zurückdenke.
[Aus der Reihe: 'Geschichten, Schnärzchen, und andere Begebenheiten von und über Stolberg/Harz, - 100 Jahre Schule, nach Erzählungen von Stolbergerinnen und Stolbergern', mit freundlicher Genehmigung von S. Oppermann.]
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